EPA Pschorrhöfe
Verwaltungsgebäude Europäisches Patentamt Pschorrhöfe BAB München
In einer Zeit, in der sich das Wissen der Menschheit in immer kürzeren Zeitabständen verdoppelt, gewinnt die Verwaltung des Rohstoffes „Idee“ eine nicht zu überschätzende Bedeutung: Das Neue entsteht erst durch seine Dokumentation. Der klassische Geistesblitz würde ohne akkurate und immer perfektere Verwaltung nicht einmal im Internet zu finden, geschweige denn zu verwerten sein. Die heute entstehenden und zu entwickelnden Bahn brechenden Ideen, von denen erst in Zukunft die Rede sein wird, entstehen auch heute noch nicht ausschließlich in großen Forschungslabors, sondern immer noch in einzelnen menschlichen Gehirnen. Der Mensch mit seinen Phantasien, Emotionen und Widersprüchen ist und bleibt trotz fortschreitender Technologie wohl so lange das Maß aller Dinge. (Peider Defilla)
Das Europäische Patentamt im Herzen der Stadt München ist Zentrum für die Bewahrung, Pflege und den Schutz menschlicher Innovation und Visionen, ein Ort der Integration des Neuen und des Fortschritts mit dem schon Bestehenden. Die Zeugnisse menschlichen Wissens und herausragender Intelligenz sind hier in besonderer Weise beheimatet. Unermüdlicher Forschungsdrang, auf eindrückliche Weise Gestalt geworden in tausenden von Erfindungen, liegt hier gespeichert als unablässiger Fluss geregelter digitaler Informationen. Die Hochtechnologie der modernen Wissensgesellschaft, Kommunikation, Bewegung und Geschwindigkeit sind an diesem besonderen Ort auf komplexe Weise miteinander verbunden.
Der zweiteilige, in jeweils drei Segmente unterteilte Neubau des Europäischen Patentamtes erstreckt sich mit seiner vollflächig verglasten, regelmäßigen Fensterfassade entlang des Gleiskörpers, welche zum Kopf des Münchner Hauptbahnhofs führt. Umgeben von Bahnschienen, Landsberger/Arnulfstrasse und der Hackerbrücke, befindet sich der lang gestreckte, rechteckige Gebäudekomplex inmitten hoher Geschwindigkeit.
Drei Künstler setzen sich in einer gemeinsamen Initiative doch aus ganz unterschiedlichen Perspektiven heraus und mit verschiedenen Mitteln mit dem Genius loci auseinander:
Eine produktive Atmosphäre mit vielen Begegnungs- und Kommunikationspunkten soll vor Ort entstehen. Geistesblitze und Impulse im kreativen Alltag der 700 EPO Mitarbeiter sollen ausgelöst werden. Denn die Verwaltung von Ideen, die zentrale Aufgabe der Institution ist ohne Inspiration, ohne Geistesblitz angesichts der unübersehbaren Anzahl Ideen hilflos. Keine kreative Nutzung von Kreativität ohne adäquate kreative Verwaltung, in der auch der Mensch, freilich unterstützt von modernen und sinnvollen Verwaltungs-Technologien, im Mittelpunkt bleibt.
In zukünftigen Projekten, die mit dem Thema, Wege, Zeitzonen, Intervalle, Geschwindigkeiten (z.B. in der klassischen Musik) kreativ umgehen, könnten später weitere Künstler aus allen Mitgliedstaaten der Europäischen Patentorganisation eingebunden werden.
Die plastischen Raumobjekte von Nele Ströbel nehmen die unterschiedlichen Geschwindigkeiten im Gebäude und in der Umgebung auf. Ihr Konzept >En passant< thematisiert die vielfältigen von Bewegungsarten und Geschwindigkeiten der Mitarbeiter im Gebäudekomplex und seinem verkehrsintensiven Umfeld.
Die netzartigen Nachbilder der Bewegungsmodi der Menschen verbinden, ordnen und konzentrieren sich an Orten die zur Ruhe, zur Begegnung, zum Verweilen, zum Gedankenaustausch dienen. Diese „Entschleunignugsräume“ sollen zur Begegnung und Kommunikation der im EPO beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dienen. Hier platziert sie ihre skulpturalen Akzente. Die „Piazettas und Piazzas“ sind mit metallenen Formen und deren Nachbilder in Siebdrucktechnik an Wand und Decke zu ornamentalen, floralen Orten gestaltet. Um die hohe Erkenntnisqualität von räumlicher Erfahrung darzustellen sollen Flächenöffnungen aus lasergeschnittenen Metallscheiben in den Warte- und Verweilzonen eingebracht werden. Die Flächenöffnungen bilden „hängende Gärten“ und erzeugen Ruhe und Kommunikationsräume auf höchstem Niveau.
Die Raumnetze sind einerseits mit verschiedenen Motiven aus Siebdruck gestaltet und andererseits mit Neon- und nachleuchtender Farbe bedruckt. Sie transportieren reale Bilder und Lichtfarben in den Luftraum. Über akzentuierte Beleuchtung können die Skulpturen zu phantastischen Projektionsgebilden werden. In den Abendstunden wird ein „Glühwürmcheneffekt“ erzielt. Die Raumnetze sind mit Lasertechnologie aus dünnen Metallscheiben geschnitten und bedruckt. Über Zug- und Druckkräfte werden sie in die unterschiedlichen Raumkörper geformt. Auch hier steht der Mensch im Mittelpunkt. Die „hängenden Gärten“ von Nele Ströbel ziehen sich in unterschiedlicher Zusammensetzung und Form durch die gesamte Ebene 1.
Der französische Lichtkünstler Pipon visualisiert in seiner permanenten Lichtinstallation an der Außenfassade die verborgene Energie und Dynamik des Ortes. Die Lichtskulptur ist mit der Architektur des Gebäudes integral verbunden und reagiert aktiv auf das verkehrsintensive urbane Umfeld. Repräsentiert wird dies durch das bewegte, sich in ständigem ruhigem Fluss befindliche Farbenspiel auf der Glasfassade. Leuchtlinien, welche horizontal und in unterschiedlicher Breite und Geschwindigkeit über die gesamte Frontseite der Baukörper fließen, strukturieren die Flächen im rhythmischen Farbenspiel. Analog zu Prozessen der technischen und neuronalen Informationsverarbeitung und in Anspielung auf das mechanische Weichensystem des Gleisverkehrs in unmittelbarer Nachbarschaft wechseln dabei systematisch die Farben wie auch die Verlaufsebenen. Das Licht verzweigt sich. Spurenwechsel und horizontale Aufspaltungen zeichnen ein sich in ruhigem Wandel ständig veränderndes Bild. Unendliche Veränderung und permanenter Prozess lösen statische Wahrheiten ab. Zugleich bietet das in breiten Bändern langsam vorbeiziehende Licht Momente der Transparenz. Der Blick auf das Geschehen hinter den Mauern aus Glas, Stahl und Stein scheint sich zu öffnen. So entsteht in immer neuen Augenblicken eine Ahnung der Verbindung zwischen der Architektur immateriellen Visionen, die sie beherbergen.
Die Fläche der inneren Fassade wird mit LED Leuchtkörpern bestückt. Die Verglasung davor wird zur Projektionsfläche. Mit Einbruch der Dunkelheit werden die Leuchtkörper aktiviert. Sensoren nehmen die Bewegungen der vorbeifahrenden Züge und des urbanen Verkehrs in der Umgebung auf und setzen diese in eine Lichtpartitur um. Die verwendete Farbpalette repräsentiert die Vielfalt der europäischen Nationen.
Im Titel der interaktiven Video- und Sound-Installation „aller – go – allegro“ von Peider Defilla manifestieren sich Verknüpfungen, Synthesen, Rhythmus. Die großzügig ausgelegten Innenräume der Verwaltungsgebäudes, prädestinieren die Menschen, die sich dort begegnen, aufhalten miteinander kommunizieren dazu, von ihren Bildschirmen im Büro Abstand zu nehmen, neue Sinneseindrücke zu gewinnen und durch ungezwungene Gespräche oder auch nur Bemerkungen ihren Horizont zu wechseln.
Diesem Umstand trägt die skulpturale Installation Rechnung. Der Bildschirm als mittlerweile bereits im Bewusstsein eingebranntes Ikon der Informationsvermittlung wird seiner ursprünglichen Zweckbestimmung radikal enthoben: Er liegt am Boden, unausweichlich. Er ist Stolperstein, zwingt zur mehr als flüchtigen Wahrnehmung. In den Boden eingelassen, lädt er dazu ein, ihn zu betreten, sich auf ihm aufzuhalten, sich zu bewegen, die Richtung zu wechseln. Landschaften der Imagination können entstehen. Die Kaskadierung und die den räumlichen Gegebenheiten optimal angepasste Positionierung der in die Boden-Tektonik eingebauten Screens potenzieren die abgespielten visuellen Botschaften: Begriffe, Formeln, Textblöcke, niemals statisch, ständig in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Rhythmen in Bewegung versetzt, greifen sprachlich und grafisch die kulturelle Vielfalt des sich vergrößernden und zusammenwachsenden Europas auf. Der Betrachter erlebt allerdings kein Folklore-Potpourri auf vielen Bildschirmen, sondern erfährt eine aktive Anregung oder gar Irritation: Zeichen, Stimmen, Takte, Geräusche und Licht, niemals vorhersehbar wie eine Speisekarte oder ein Infostand, sondern im Gegensatz dazu ständig Gestalt und Inhalt wechselnd, und zwar ausgelöst durch bewusste oder unbewusste Aktivität des Betrachters! Er wird animiert, in seiner Phantasie zur Kommunikation angeregt, löst durch seine Bewegungen und seine physischen Reaktionen visuelle und akustische Prozesse aus, die andere Betrachter dann auch wahrnehmen. Er entsteht Rhythmus, Bewegung, Aufgelockertheit. Unaufdringlich und doch anregend, witzig, spontan und unerwartet verwandelt sich der Innenraum des Gebäudes zu einer originellen Kommunikations-Zone, nach dessen Betreten, Beschreiten oder Verweilen der Arbeitsalltag mit seinem immanenten Stress und Sachzwang mit anderen Augen gesehen werden kann.