Coronatagebuch Linoldrucke und Frottagen
ANMERKUNGEN ZU „CORONA-TAGEBUCH“:
Zu Beginn des ersten Lockdowns, 2020 hatte ich mir „noch schnell“ eine Rolle Linoleum online bestellt:
Artikel Nr. 23, Berliner rot. Die Rolle 2 Meter breit, 5 Meter Mindestbestellmenge wurde an die „Bordsteinkante“ geliefert, leider wie so oft in diesen Tagen hatte sich die Spedition nicht telefonisch angemeldet. Der Laster war einfach plötzlich da und spuckte die schwere Rolle kostbaren Linoleums aus.
Irgendwie schaffte ich es auf den Gehweg und begann, mitten in der Innenstadt unter den ungläubigen Augen von Nachbarn und Passanten aufzurollen, zu vermessen, aufzuteilen, zu schneiden und wegzuschaffen.
Das war mein Überlebensschatz, Fahren auf Sicht und Schnitzen auf Zeit. Erst die Statue der Heiligen St. Corona, der Legende nach einer Helferin gegen die Seuchen, dann viele Druckstöcke Berlin und München nach 45. Alles zerstört, nur ein paar Landmarken als Silhouetten: die Gedächtniskirche, die Residenz, das Brandenburger Tor, die Museumsinsel.
Ich hatte immer wieder Linolschnitte gefertigt, jedoch nie ausschließlich, es war wie ein Sog. Eine, an Jahren alte Freundin meinte nur, dass zwischen den Kriegen und nach 45 viele Künstlerinnen Linoleum als Medium für sich entdeckt hätten. Es kam aus Abbruchhäusern, zwischen Schutt und Asche hervor.
Bei einem Spaziergang begegnete mir eine junge Familie. Der strubbelig, trotz der Zeiten vergnügte Vater baute gerade einen Berg von Dingen hinter einem Schild „Zu Verschenken“ am Gehweg auf. Als ich interessiert stehenblieb holte er eine große, quadratische Kartonschatulle hervor. Die sei auch noch zu haben, da sei ein tolles Buch drin. Er schenkte mir ein gigantisches rot eingebundenes Fotoalbum das 50 nigelnagelneue Seiten aus Bütten und Spinnenblatt Trennblätter in enthielt. Ich verwahrte das schwere Ding im Gebüsch um es auf dem Rückweg an seinen Wirkungsort zu tragen.
So entstand das CORONA-TAGEBUCH. Linol-Handdrucke aus grüner Abtönfarbe.
Teilweise nach aquarelliert, wurden diese ergänzt mit Texten und Frottagen von digitalen Lebenszeichen die mich per Email erreichten.
Pandemie bedingt musste ich 2020 mein Münchner Atelier aufgeben und alles nach Berlin schaffen. Beim Räumen fand sich eine Mappe mit Druckstöcken aus der Nachkriegszeit. Unerschrockene Schulkinder aus der Familie hatten mit Messern und Scheren Geschichten ins Linoleum gearbeitet. Es wurde aus einer Welt zwischen mythischen Figuren, Landleben und Panzern erzählt. Ich habe sie als Kommentare und Hoffnungszeichen zwischen meine Corona-Motive und Texte gedruckt. Meine Raumarbeiten sind inhaltlich und formal im architektonischen Kontext verankert. Ich installiere Linoldrucke auf vielerlei Bildträger und immer auch räumlich.