reparaturen der welt – vor ort
Rede zur Ausstellung im AWM 24.04.07von Wilhelm Warning |
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Guten Abend meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen in der Halle des hochmodernen Abfallswirtschaftsbetriebes einer Millionenmetropole. Hier werden außerordentlich komplizierte Abläufe gesteuert, und zwar sehr erfolgreich, was ein, wie ich es mir als Laie vorstelle, differenziertes und effizientes Management bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern voraussetzt, und umfangreiche Logistik, zudem hochkomplexe technische Abläufe. Für uns ist das selbstverständlich. Donnerstag und Freitags kommt in meiner Straße das Müllauto, und nimmt mit, was wir weggeworfen haben. Man kann beinahe die Uhr danach stellen. Aber wenn ich daran denke, wie viel Tonnen Müll täglich bewegt werden, welch unendliche Menge an Abläufen, an Handgriffen dahinter steht, sicher auch an Reparaturen, dann könnte einem schon schwindelig werden. Genau besehen erledigt eigentlich das Abfallwirtschaftsamt eine riesenhafte Reparatur: Führt es doch gleichsam in eine Verwertung, eine Umwandlung zurück, was nicht mehr zu gebrauchen ist. Denn der lateinische Begriff „reparare“ bedeutet nichts anderes als „erneuern, wiederherstellen“ und kann auch mit „ergänzen“ übersetzt werden. Das damit verwandte Wort „Paratio“ heißt Vorbereitung, und „Paratus“ kann man mit „bereit“ übersetzen, oder mit „fertig“, während die Vorsilbe „re“ „zurück“ bedeutet. Wenn ich also re-pariere, dann mache ich etwas wieder bereit. Und genau das geschieht hier. Müll wird wieder zurückgeführt, um für etwas anderes „bereitet“ zu sein. Der Begriff „Recycling“ drängt sich auf, und damit der Gedanke auch an Umwandlung, Wieder- und Weiterverwertung. Etwas, das nicht mehr funktionsfähig scheint, wird verändert und so einer neuen, und manchmal, gereinigt und ausgebessert, auch der alten Funktion zugeführt. Nicht von ungefähr gibt das Amt einen sehr nützlichen Second-Hand-Führer heraus. Ich möchte die Gedanken nicht zu lange weiterspinnen, obwohl sie doch ganz eng mit Nele Ströbels Ansatz verbunden sind und mit ihren Beweggründen, warum sie sich schon so lange mit einem Projekt wie „Reparaturen der Welt“ beschäftigt und, damit verbunden, mit dem Zusammenhang von Kreativität und Reparatur. Denn, ganz klar, wer erfolgreich repariert, muss kreativ sein. Nicht nur die Künstlerinnen und Künstler, die ja oft dann gerufen werden, wenn etwas Misslungenes repariert werden soll: Im Betonhof der Brunnen, Farbe ins graue Einerlei – oft sollen sie architektonische oder planerische Missgriffe korrigieren. Das geht nur mit Kreativität und die ist auch in anderen Fällen gefragt. Denken sie nur an den US-Fernsehserienhelden, der in verzweifelten Situationen die einfachsten, alltäglichen Dinge mit etwas Nachdenken in hochtechnologische Apparaturen umzuwandeln versteht, und sich so neue Wege, eben Auswege schafft. Und manchmal wünschte man sich viele solcher Helden des Alltags in unserer Welt, angesichts ihres ja durchaus bedrohlichen Zustandes. Womit wir wieder gelandet wären bei Abfallwirtschaftsamt, wo genau dies immer aufs neue gefragt ist: Die Reparatur der Welt, in der wir leben, Stichwort etwa Mülltrennung, Müllvermeidung, Wärmegewinnung und so weiter. Nele Ströbel hat listig vor Augen geführt, wie eben jener Müll auch zur Reparatur einer Welt eingesetzt werden kann. In ihrem Projekt „imbenge – dreamhouse“ schuf sie zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus alten Telefondrähten, die die digitalisierte Post nicht mehr braucht, Flechtkunstwerke. Und zwar zusammen mit südafrikanischen Meistern dieser Kunst, der Flechtkunst. Ein Haus entstand so, eine pavillonartige geflochtene bunte Hütte – ein „dreamhouse“, ein „Traumhaus“ oder ein Haus für Träume. In diesem „Dreamhouse“ wird der Draht körperlich benutzt. Er verliert seine abstrakte Dimension, die er als telefonisches Verbindungskabel hatte, und wird zum gewebten Bild, zur poetischen Farbenlinie, zur verknäulten Verdichtung, verdeutlicht Erzählung, führt Erinnerungen vor Augen, wird zum verschlungenen Weg, zur romanhaften Linie, die auftaucht, verschwindet, mit anderen sich verflicht, wieder auftaucht, erneut sich verknotet. Hier wird der Draht Dank der traditionellen Zulu-Flechtkunst, Imbenge, zum Träger der Träume. Der Phantasien, der Vorstellungen, der gedachten, geträumten Welten. Wird gar zur poetischen Leitung durch Zeiten, in tiefe Vergangenheiten zurück oder ferne Zukunften. Träumend erschufen Götter die Welt, einst, in jenen unvordenklichen Tagen, und es gilt sie zu erneuern durch die Kraft des Träumens und des poetischen Benennens. Wir sind noch immer bei der Kunst und den Reparatur der Welt. Und sind bei einem uralten Menschheitsthema gelandet. Genau gesehen ist es das Thema schlechthin. Denn es greift tief in die Anfangsgründe. Erlauben Sie mir also, sie mitzunehmen auf eine kleine Reise in die gleichsam unerschöpfliche und dunkle Tiefe der Vergangenheit. Reisen wir in Gedanken nach Spanien, nach Andalusien. Eine kleine, gewundene Straße schraubt sich in steilen Windungen hinauf, die letzten 300 Meter führt ein schmaler Pfad zum Eingang. Menschenleer scheint die Gegend. Stille herrscht, nur der Wind, der vom Tal herauf weht, raschelt in den sommerlich verdorrten Grasbüscheln zwischen sonnenheißen Steinen und dunklen Felsbrocken. Von hier aus kann der Blick weit schweifen, bräunlich rötliche Hügelketten verlieren sich im blauen Dunst der Ferne. Wir treten aus gleißendem Licht in samtene Dunkelheit. Die Höhle verschluckt jedes Geräusch. Der Lichtkegel der Lampe erfasst bizarre Formen, in Jahrmillionen gewachsen, versinterte Säulen, versteinerte Wasserfälle. Und Spuren von Menschen, die sich in vorgeschichtlicher Zeit immer wieder in diese Höhle zurückgezogen haben. Schmauch- und Rußspuren, längst vom Kalk überzogen, zeugen von Feuerstellen im Inneren des Berges, haben die Wand mannshoch geschwärzt. Im Lichtschein, der über den Felsen gleitet, ist plötzlich ein Bild zu sehen. Ergebnis eines schöpferischen Prozesses. Vor etwa 15 000 Jahren arbeitete ein Mensch in der nachtschwarzen Höhle, schuf, was wir heute ein Kunstwerk nennen. Mit einigen sicheren, eleganten Linien hat er oder sie einen Pferdekopf gezeichnet, hat Farbakzente gesetzt aus gelbem Ocker und rotem Eisenoxyd, Farben, die die Landschaft draußen prägen. Einige Schritte weiter ein Hirsch, eine Ziege, tiefer in der Höhle, hinter der Biegung, sind trächtige Tiere dargestellt, kühn, fast abstrakt. Bis in das 9. Jahrtausend – also sechstausend Jahre lang – kamen immer wieder Menschen in die Höhle und malten Bilder auf die Wände, darunter auch Darstellungen von sich selbst. Schwarze Wesen im Strichmännchenstil, einer spannt gerade den Bogen, hebt ihn, um zu zielen oder den Pfeil abzuschnellen. Es waren offenbar Jäger. Zu sehen sind in der Berg- und Höhleneinsamkeit Spuren gelebten Lebens. Menschen, die vermutlich Glück empfanden und Leid, die, wie wir, im Laufe ihres Lebens aus der Fülle der Erinnerung schöpften, die liebten und vielleicht auch voller Lust lebten, die litten und starben. Sie schufen die Bilder, die sie in sich trugen, Bilder, die wie Botschaften erhalten blieben. Es sind Blitze aus dunkler Vorzeit, Bögen über Jahrtausende hinweg. Was sie dazu veranlasste, hier in der nachtschwarzen Höhle im Schein flackernden Lichts Bilder zu schaffen, können wir bloß vermuten, überliefert ist es nicht. Jedenfalls wurde im schöpferischen Prozess, im Darstellen der Tiere und Menschen das eigene Dasein in der alles umfassenden Welt, in der man existiert, benannt und damit geordnet. Vieles spricht dafür, dass die Spalte der Erde als religiöser Kultplatz diente, in der in, wir würden heute sagen, schamanischen Riten Tiergeister angerufen wurden, Jagdglück und Fruchtbarkeit erfleht wurden. Dass, um es anders auszudrücken, da Menschen jedenfalls um etwas baten, bei möglichen Tierahnen oder Geistern. Dass sie, um es nocheinmal zu wenden, jene Störung, die ihre Jagd anrichtete, also die Vernichtung von Leben, zu reparieren suchten. Die durch die menschlichen Handlungen gestörte Welt sollte erneuert werden. Wir wissen jedenfalls durch einschlägige ethnologische und religionswissenschaftliche Erkenntnisse, dass im Erzählen des Mythos, der Uranfangs die Welt im Hier und Jetzt erneuert wird. Repariert wird. Und dass Kunst und Religion hier eng verbunden sind. Genau dies geschah und geschieht in solchen Ritualen: Die Erneuerung der Welt, deren Ordnung gestört worden ist. Verbunden damit ist eine Reinigung, und aus dieser Reinigung, aus dem Chaos wächst wieder der Kosmos. Kosmos ist das griechische Wort für Ordnung. Jemand, der repariert, bringt in Ordnung, sagen wir auch. Sie sehen, wie tief in der Menschheitsgeschichte diese Vorstellung von den Reparaturen der Welt eingelagert ist. Es ist ein im wahrsten Sinn des Wortes „religiöser“ Vorgang. Religio bedeutet ja nichts anderes als „Rückbindung“. Auch die Idee des Opfers gehören hier her. Viel ließe sich dazu sagen und ausführen, es würde den Rahmen der kleinen Einführung gänzlich sprengen. Deshalb möchte ich es bei skizzenhaften Hinweisen belassen. Kehren wir zurück zum lateinischen Begriff „Re-Parare“. Gleichsam etwas zurückführen um es wieder bereit zu machen. Genau darum geht es. Noch heute, und auch hier zeigt die Sprache den alten Sinn, fragen Kinder: Kannst Du das heil machen. Oder die Erwachsenen beruhigen: Heile heile Segen. Ein Pflaster drüber, und das aufgeschürfte Knie verheilt. Heil ist ein religiöser Ausdruck, der auf den Zustand der Ganzheit, der Unverletztheit verweist. Auf das, wenn sie so wollen, Paradies. Man könnte es als Ursehnsucht des Menschen bezeichnen, wieder in den Zustand des Heils zu gelangen, also geheilt zu werden. Re-Pariert zu werden. So etwas steckt auch hinter dem Titel „Reparaturen der Welt“. Und wessen bedienten sich seit den Uranfängen sie Menschen, um dieser Sehnsucht ihren Ausdruck zu geben, also die Welt zu reparieren? Richtig: dessen, was wir heute als „Kunst“ bezeichnen. In jener Höhle waren es die Bilder, die Bilder der Traumzeit, die die Menschen entstehen ließen. Übrigens oft genug aus Abfall: Verbrannten Holz etwa. Oder Bilder, eingeritzt auf Knochen. Oder geflochten, denke sie an das „dream house“. Vielleicht haben die Menschen auch gesungen, getanzt oder von den Uranfängen erzählt und von ihrer Sehnsucht danach. So, wie es bis heute geschieht. Die Künste als Ausdruck dieser Sehnsucht. „Hör auf der Flöte Rohr, wie es erzählt und wie es klagt, vom Trennungschmerz gequält: Seit man mich aus der Heimat Urgrund schnitt, weint alle Welt bei meinem Klagen mit…“ so dichtete Mewlana Dschelaleddin Rumi, einer der größten islamischen Mystiker im 13. Jahrhundert. Oder denken sie an den Sonnengesang des Heiligen Franziskus. Die Sehnsucht nach dem „Wieder Heil-Werden“. Sie durchzieht die gesamte religiöse Welt, und nicht nur sie: Auch, wenngleich auf materieller Ebene, utopische Lebensmodelle. Einmal in einem hier und jetzt zu leben, in dem es allen gut geht. Ohne Not und Leid, die als Fehler, als kaputter, gebrochener Zustand empfunden werden. Merkwürdig: Wir träumen von einem Zustand, der Reparaturen überflüssig macht und versuchen ihn durch Reparaturen zu erreichen. Wir erkennen die Ganzheit, das Heil erst durch das Unheile. Nele Ströbel hatte in einer ihrer jüngsten Arbeiten sich mit dem Thema Garten beschäftigt, dem Klostergarten, dem, wie man fachspezifisch sagt, „hortus conclusus“. Also dem abgeschlossenen Garten. Wieder sind wir beim Sehnsuchtspunkt gelandet, dem Paradies. Dem Garten Eden. Denn für nichts anderes steht der „hortus conclusus“. Er lässt die Vorstellung vom Heilwerden, ja, vom Heilsein spürbar werden und verweist damit auf die nötige Reparatur der Welt. Womit wir wieder beim Thema dieser Ausstellung sind, die sich ganz handfest dem widmet, was hier geschieht. Den vielen, nötigen Reparaturen im alltäglichen Leben. Das gilt aber auf vielen Ebenen und auch in uns selbst, wie wir vielfach, etwa in jeder Not, bei jeder Krankheit, jedem Unglücklichsein, jedem unerfüllten Lebensmoment erfahren können, wenn wir repariert werden, uns wandeln können, die Welt reparieren. Das kann mit einer Bohrmaschine beginnen. Oder mit der Kunst hier vor uns. Ich danke ihnen für ihre Geduld. |