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 stadt der töne

stadt der töne

Die fiktive Stadt wurde aus rechteckigen, alten Holzorgelpfeifen und Alabasterobjekten entwickelt, vergipst und als räumliche Partitur installiert.

KV Ebersberg/ Schloss Hirschbichl,

KV Werfen/Tennek,

Galerie Karin Sachs, München,

Galerie Witzel, Wiesbaden, 1995

 

stadt der töne von Dr. Hanne Weskott:

„Ein Musikstück machen heißt Stille erzeugen“, sagte John Cage. Nur in der Stille können wir die sonst nichtgehörten Töne des leeren Raumes, sein Klangbild, wahrnehmen. Aber die Grundbedingung unserer Wahrnehmungsfähigkeit ist die Struktur. So hat Cage in seinem „Vortrag über Nichts“ 1959 ausgeführt: „Was wir brauchen ist de Stille, aber, was die Stille will, ist, dass ich weiterrede“. Der Künstler liefert sozusagen die nötige Struktur, um Wahrnehmung zu ermöglichen, er macht das Angebot. Auch die „stadt der töne“ ist so ein Angebot. In ihr wird kein Ton erzeugt und doch birgt sie neben ihrem realen Klangbild eine Vielfalt von möglichen Tönen.

Nele Ströbel selbst ist vom Säuseln und Rauschen des Windes rund um die Hochhäu­ ser Manhattans inspiriert worden, als sie daran ging, ihre „stadt der töne“ zu bauen, die wie eine spannungsreiche  Anordnung von einfachen stereometrischen  Grundformen anmutet. Befremdlich in dieser Betrachtungsebene wirken nur einige Öffnungen und Ausbuchtungen , die eine im Bereich der abstrakten Skulptur ungewöhnliche Funktionalität suggerieren. Tatsächlich sind ein Großteil der Elemente Fundstücke: Teile einer zerlegten Orgel. Sie leiten sich also ganz konkret von einem Werkzeug = organon zur Musikerzeugung ab, allerdings nicht zu einer Musikerzeugung im Sinne von john Cage. Aber das Werkzeug ist ja seiner Funktion beraubt, wenn auch nicht gänzlich: eine ein­ fache Tonerzeugung ist möglich, so lange Resonanzkörper und Luftklappe intakt sind.

In der „stadt der töne“ ist das allerdings von untergeordneter Bedeutung. Nicht umsonst sind alle Teile geweißt, geschliffen und mit Membranpapier umwickelt: glatt, perfekt, nicht unzugänglich, aber neugierigen Fingern gegenüber abweisend.

Überschaubar ist diese Stadt und hierarchisch geordnet wie ihre Vorbilder und ihre Vor­ gängerin, die Orgel, und doch herrscht im Vergleich zu dieser geradezu Chaos. Die strenge Formation der Register, die diesem Instrument den Klang eines Orchesters ermöglichen, eine Stadt der Töne von ganz anderer Art, ist zerstört. Aber aus diesem Haufen Holz, das so eine zerlegte Orgel darstellt, ist etwas Neues entstanden, mit eigenen Gesetzen, eigenem Rhytmus der Bewegung und eigenen Tönen. Doch Nele Ströbel hat ihre Stadt nicht nur aus Orgelteilen gebaut, sondern auch Rotationsformen aus A labastergips dazu entworfen , um den formalen Aspekt zu betonen: die weiche Rundung gegen das streng hierarchisch aufragende Prinzip der Orgelpfeifen und die breit lagernden, offenen rechteckigen Kästen.

Wir können die „stadt der töne“ als reines Formenspiel wahrnehmen , als Bild der Stadt, wie wir sie von Kirchtürmen oder Hochhäusern aus sehen. Aber dann fehlt uns der An­ teil der Töne, den wir nicht nur anekdotisch auf die früher vorhandene Orgel beziehen wollen: die realen Töne im Raum. Diese sind auch vorstellbar durch die unterschied­lichen Materialien der Klangkörper: die hohlen Pfeifen, die gipsernen Rotationen und die hölzernen Kästen mit ihren Innenraumverdichtungen. Theoretisch könnte man hier mit drei unterschiedlichen Klangkörpern Musik erzeugen, was aber der Absicht der Künst­lerin widerspräche. Sie hat kein Instrument gebaut, sondern ein Bild einer Stadt ent­worfen und dieses den Tönen gewidmet, obwohl die Geräusche einer Stadt und gerade einer Stadt mit Hochhäusern die „Hauptquelle aller physischen und psychischen Entartungserscheinungen (ist), unter denen wir leiden“.2

Eine Stadt der Töne gegen eine Stadt der Geräusche oder des Lärms: eine stille Stadt, deren Klangbild wir nur wahr­ nehmen können, wenn wir uns der Stille überlassen, nichts wollen, nichts kategorisieren und zuschreiben: Ruhe bitte!

Hanne Weskott

Katalog der ausstellung „John Cage und die Modeme“ München 1991, S.23
21 Katalog der Austeilung „Von Prof itopolis zur Stadt der Menschen“. München 1979 S.7