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 Bibliothek der Hertha Einstein-Natorff

Bibliothek der Hertha Einstein-Natorff

Mit der besonderen Bedeutung von Büchern für Emigranten, die diese aus dem nationalsozialistischen Deutschland mit ins Exil retteten, setzt sich Nele Ströbel in ihrem Bibliotheksprojekt zum Gedenken an Hertha Einstein-Nathorff auseinander. Diese Bücher waren für ihre Besitzer kostbar, da sie, nach einem beschwerlichen Transport, auch durch die Sprache ein Stück verlorene Heimat verkörperten.
Hertha Einstein-Nathorff kam als Tochter jüdischer Eltern 1895 in Laupheim zur Welt. Als erstes Mädchen besuchte sie dort die Lateinschule. Als Ärztin wurde sie Leiterin der Frauenklinik des Rotkreuz-Krankenhauses in Berlin und als einzige Frau in den Gesamtausschuss der Berliner Ärzte gewählt. Als sie 1940 nach New York emigrierte, ermöglichte sie ihrem Mann durch Putzarbeiten, die in den USA erforderliche Zulassungsprüfung für Mediziner zu erlangen. Sie selbst holte das Ärzteexamen nicht mehr nach, sondern arbeitete als Sprechstundenhilfe ihres Mannes und blieb so, als dieser 1959 starb, bis zu ihrem Tod 1993 weitgehend mittellos. Zwar hatte sie Vorträge für Frauen gehalten, doch sie selbst schaffte es nicht, ihr emanzipatorisches Leben in Deutschland in den USA weiterzuführen.
Nele Ströbel nähert sich diesem nicht untypischen, deutsch-jüdischen Frauenschicksal an, indem sie Bücher in Form von bildnerischen Objekten mit den verschiedensten Inhalten herstellt, die facettenartig einen Einblick in ein Emigrantinnenleben bieten. Diese Form von Annäherung steht außerdem im Zusammenhang mit dem Schreiben als wichtigstes Medium für Hertha Einstein-Nathorff, mit dem diese sehr pathetisch in Form von autobiographischen Aufzeichnungen, Artikeln und Gedichten u.a. einem patriotischen Heimatbegriff anhing. Die bisher entstandenen 60 Bücher der Künstlerin zu Themen wie Heimatverlust, Immigration und Medizin werden zu einer Bibliothek zusammengefasst. Zur Präsentation und Aufbewahrung dient ein hölzernen, mit Rädern versehener Rundschrank, dessen Form einerseits von dem runden, vertikal aufklappbaren Gefäß, in dem die Torarollen aufbewahrt werden, und andererseits vom Bildtypus der Schutzmantelmadonna angeregt ist. Nach ihrer Fertigstellung soll die fahrbare Bibliothek auf die Reise zu den Lebensstationen von Hertha Einstein-Nathorff gehen und damit dem Verlust der Erinnerung entgegenwirken.

Katalogtext anlässlich der Ausstellung „Fluchtpunkt Lissabon“ Goetheinstitut/ Gasteig, 1998