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 reparaturen der welt

reparaturen der welt

Einführung zum Ausstellungs- und Buchprojekt:

Die Themen:

Standortbestimmung

Kreativität und Reparatur

Der Wert der Dinge

Cyberspace und die Reparatur am Menschen

Die AutorInnen:

Peider A. Defilla
Dr. Anneliese Durst
Prof.Dr. Heidrun Friese
Prof. Dr. Ingrid Krau 

Dr. Hildegard Kronawitter 

Prof. Friedrich Kurrent 

Dr. Marlene Lauter 

Dr. Ulrike Leuschner
Dr. Cornelia Lüdecke
Hartfrid Neunzert
Dr. Paul Parin
Albert Ridgeley
Jennifer Ridgeley 

Dr. Daniela Rippl
Herbert H. Schultes
Dr. Roland Schoeffel
Dieter Ströbel 

Nele Ströbel
Prof.Dr. Christiane Thalgott
Prof. Dr. Bernhard Waldenfels
Thomas Werner

Vorwort
Daniela Rippl

„Als eine Art intellektueller Bastelei“ definierte Claude Lévy-Strauss das mythische Denken und machte darüber hinaus auf seine Funktion als Bindeglied zwischen künstlerischem Schaffen und wissenschaftlicher Erkenntnis aufmerksam. Inzwischen hat die Interaktion von Künstlern und Wissenschaftlern als wieder neu entdeckte Form der kulturellen Begegnung und Wissensvermittlung immer mehr an Bedeutung gewonnen, fördert sie doch Rahmenbedingungen, die den rasanten Entwicklungen in den neuen Medien und Technologien eine andere reflexive Dimension entgegenhalten. Die moderne Gesellschaft lebt in einer angeeigneten Welt, und die Mittel, die sie einsetzt, um sich diese Welt anzueignen, verdanken sich im überwiegendem Maße dem, was die Wissenschaft kann und weiß. Eine Welt ohne Wissenschaft, ohne Forschung und auf ihr beruhender Entwicklung ist undenkbar geworden. Trotzdem ist das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft nicht einfach, denn wissenschaftliche Entwicklungen führen oft zu Problemen, die mit wissenschaftlichen Mitteln alleine nicht bewältigt werden können. Die Möglichkeiten von Kunst und Kultur werden allerdings selten in Zusammenhang mit Wissenschaft gefragt.
Golden GateVor diesem Hintergrund hat das Kulturreferat ein Projekt der Münchner Künstlerin Nele Ströbel zum Anlaß genommen, einen Schlüsselbegriff unserer Kultur in seinem künstlerischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang vorzustellen, der durch die neuen Medien und Technologien, aber auch durch die Veränderungen im Verhältnis von Maschine und Mensch und schließlich durch die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit eine vollkommen neue Wertigkeit bekommen hat: die Reparatur. Reparieren ist ein kultureller Akt des Wiederherstellens von Dingen, von Leib und Seele, von Natur und Kultur gleichermaßen. Angesichts der allgegenwärtigen und täglich wachsenden Verwundbarkeit unserer Körper, unserer kulturellen, wirtschaftlichen und militärischen Symbole und der schrittweisen Zerstörung der Natur, ist die Reparatur zum unumgänglichen Bestandteil im gesellschaftlichen Miteinander geworden. Als kreativer Prozeß hat die Reparatur darüber hinaus eine schöpferische Qualität, die sie durch die ästhetische Differenz in der Wandlung von „alt“ und „neu“ gewinnt. 
AubrückeAber nicht alles läßt sich reparieren. Reparaturen sind Grenzen gesetzt. Sie spaltet sich in Reparables und Irreparables. Der vorliegende Band unternimmt den Versuch, die Leser durch eine bunte Welt der Reparaturen zu führen, die die unterschiedlichsten Reflexionen und Skizzen in einem interdisziplinären Parcours zu Reparaturen der Welt vereint. Im philosophischen Auftakt entfaltet Bernhard Waldenfels den Zusammenhang von Ding, Leib und Reparatur, sowohl in Bezug auf zeitliche und ökonomische Faktoren als auch in der Gegenüberstellung von alt und neu. Heidrun Friese verweist auf die Uneinholbarkeit eines ursprünglichen Zusammenhangs und damit auf den niemals gelingenden Versuch der Rekonstruktion im Prozeß des Reparierens. Ulrike Leuschner betrachtet die textkritische Edition einer Handschrift als Reparaturwerkstatt der Literatur, in der sich die stetigen Veränderungen des kulturellen Gedächtnisses spiegeln. Die sogenannte Rechtschreibreform bezeichnet sie als „Reparaturmaßnahme ganz eigentümlicher Art“ und die auf diese Weise reparierten Ausgaben älterer Literatur als „bloße Makulatur“. Hartfrid Neunzert und Marlene Lauter beleuchten die Facetten der Reparatur im musealen Kontext. Während Neunzert für eine Reparatur eintritt, die den Istzustand bewahrt, Veränderungen dokumentiert und auf diese Weise der Geschichtsfälschung entgegenwirkt, vergleicht Lauter die Schwierigkeiten in der Kunstvermittlung mit den Schwierigkeiten des handwerklichen Reparierens. 
AubrückeEin Erfahrungsbericht aus der Praxis der Architektin Ingrid Krau dokumentiert die Reparatur eines Dings als Abfolge unterschiedlicher theoriegeleiteter Analysen und stellt darin die Qualität von Gutachten zur Diskussion. Am Beispiel des Wiederaufbaus der Münchner Pinakothek zeigt Friedrich Kurrent die produktive Vereinigung von alt und neu: „Gerade die Botschaft einer dichten, innigen Bausubstanz mit den neuen Teilen ist es, die uns in der Physiognomie des Bauwerks so beredt entgegenspringt; die von seiner Geschichtlichkeit spricht; auch die seiner Zerstörung nicht verschweigt; eben die ganze Geschichte erzählt.“ An diesem Umgang mit Geschichte wird deutlich, welchen Stellenwert Erinnern und Vergessen sowohl im kulturellen als auch im psychischen Prozeß des Menschen einnehmen. Erst nach der Rückkehr ins heimatliche Ägypten, schreibt Alfred Ridgeley in der Retrospektive auf seine Geburtsstadt Alexandria, habe er die Wunden der Emigration heilen können. Die quälende Erinnerung an seine Heimat hatte durch die Konfrontation mit der Realität endlich ihre traumatische Wirkung verloren. 
HeilungÜber Chancen und Risiken politischer Reparaturarbeiten schreiben Peider A. Defilla und Hildegard Kronawitter, während Anneliese Durst auf die „Reparaturbedürftigkeit“ beschädigter Erwerbsbiographien verweist: Die Politik braucht mehr denn je kommunale Projekte, die die Zukunft der Arbeitsgesellschaft und damit einen humanen Lebenslauf sichern. Reparaturen, so zeigt sich an den Textbeiträgen des vorliegenden Bandes, sind inhärenter Bestandteil unserer kulturellen Räume. Sie sind notwendig in jedem Bereich, können aber eine negative Eigendynamik entwickeln, wie es Lydia Andrea Hartl gerade an den Parallelitäten des Umgangs mit der Welt und des Umgangs mit dem menschlichen Körper offenlegt, beides Experimentierfeld zur „Konstruktion von Machbarkeiten“. Und Paul Parin entlarvt schließlich die eigentümliche Aporie der reparatorischen Chirurgie zur Behebung von Kriegsschäden: „Wie absurd ist es doch, seine Zeit damit zu verbringen, verstümmelte Opfer der Gewalt notdürftig und unvollständig zusammenzuflicken, wenn man weiß, daß Machtkämpfe und die scheinbar unbeherrschbare Industrieproduktion ständig neue Opfer erzeugen, daß täglich Morde begangen und Wunden zugeführt werden.“ 
AusägewerkAm Ende der Lektüre dieses Bandes wird deutlich: Der Begriff der Reparatur ist durch eine Vielzahl von Konnotationen geprägt, die einem ständigen Wandel unterliegen oder um mit den Worten von Schultes und Schoeffel zu enden: „Reparaturwürdigkeit und Reparaturbedürftigkeit zeigen die besondere menschliche Relativität des Reparaturbegriffs. Wie die Reparaturwürdigkeit, so ist auch die Reparaturbedürftigkeit letztlich an subjektive Maßstäbe gebunden.“  
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Auszüge aus der Rede zur Ausstellung „reparaturen der welt_vor Ort“ von Wilhelm Warning

„Genau besehen erledigt eigentlich das Abfallwirtschaftsamt eine riesenhafte Reparatur: Führt es doch gleichsam in eine Verwertung, eine Umwandlung zurück, was nicht mehr zu gebrauchen ist. Denn der lateinische Begriff „reparare“ bedeutet nichts anderes als „erneuern, wiederherstellen“ und kann auch mit „ergänzen“ übersetzt werden. Das damit verwandte Wort „Paratio“ heißt Vorbereitung, und „Paratus“ kann man mit „bereit“ übersetzen, oder mit “fertig“, während die Vorsilbe „re“ „zurück“ bedeutet. Wenn ich also re-pariere, dann mache ich etwas wieder bereit. Und genau das geschieht hier. Müll wird wieder zurückgeführt, um für etwas anderes „bereitet“ zu sein. Der Begriff „Recycling“ drängt sich auf, und damit der Gedanke auch an Umwandlung, Wieder- und Weiterverwertung. Etwas, das nicht mehr funktionsfähig scheint, wird verändert und so einer neuen, und manchmal, gereinigt und ausgebessert, auch der alten Funktion zugeführt.
Ich möchte die Gedanken nicht zu lange weiterspinnen, obwohl sie doch ganz eng mit Nele Ströbels Ansatz verbunden sind und mit ihren Beweggründen, warum sie sich schon so lange mit einem Projekt wie „Reparaturen der Welt“ beschäftigt und, damit verbunden, mit dem Zusammenhang von Kreativität und Reparatur. Denn, ganz klar, wer erfolgreich repariert, muss kreativ sein. Nicht nur die Künstlerinnen und Künstler, die ja oft dann gerufen werden, wenn etwas Misslungenes repariert werden soll: Im Betonhof der Brunnen, Farbe ins graue Einerlei – oft sollen sie architektonische oder planerische Missgriffe korrigieren. Nele Ströbel hat listig vor Augen geführt, wie eben jener Müll auch zur Reparatur einer Welt eingesetzt werden kann. In ihrem Projekt „imbenge – dreamhouse“ schuf sie zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus alten Telefondrähten, die die digitalisierte Post nicht mehr braucht, Flechtkunstwerke. Und zwar zusammen mit südafrikanischen Meistern dieser Kunst, der Flechtkunst. Ein Haus entstand so, eine pavillonartige geflochtene bunte Hütte –  ein „dreamhouse“, ein „Traumhaus“ oder ein Haus für Träume.  In diesem „Dreamhouse“ wird der Draht körperlich benutzt. Er verliert seine abstrakte Dimension, die er als telefonisches Verbindungskabel hatte, und wird zum gewebten Bild, zur poetischen Farbenlinie, zur verknäulten Verdichtung, verdeutlicht Erzählung, führt Erinnerungen vor Augen, wird zum verschlungenen Weg, zur romanhaften Linie, die auftaucht, verschwindet, mit anderen sich verflicht, wieder auftaucht, erneut sich verknotet.
Hier wird der Draht Dank der traditionellen Zulu-Flechtkunst, Imbenge, zum Träger der Träume. Der Phantasien, der Vorstellungen, der gedachten, geträumten Welten. Wird gar zur poetischen Leitung durch Zeiten, in tiefe Vergangenheiten zurück oder ferne Zukunften.

Kehren wir zurück zum lateinischen Begriff „Re-Parare“. Gleichsam etwas zurückführen um es wieder bereit zu machen. Genau darum geht es. Noch heute, und auch hier zeigt die Sprache den alten Sinn, fragen Kinder: Kannst Du das heil machen. Oder die Erwachsenen beruhigen: Heile heile Segen. Ein Pflaster drüber, und das aufgeschürfte Knie verheilt. Heil ist ein religiöser Ausdruck, der auf den Zustand der Ganzheit, der Unverletztheit verweist. Auf das, wenn sie so wollen, Paradies. Man könnte es als Ursehnsucht des Menschen bezeichnen, wieder in den Zustand des Heils zu gelangen, also geheilt zu werden. Re-Pariert zu werden. So etwas steckt auch hinter dem Titel „Reparaturen der Welt“. Und wessen bedienten sich seit den Uranfängen sie Menschen, um dieser Sehnsucht ihren Ausdruck zu geben, also die Welt zu reparieren? Richtig: dessen, was wir heute als „Kunst“ bezeichnen. In jener Höhle waren es die Bilder, die Bilder der Traumzeit, die die Menschen entstehen ließen. Übrigens oft genug aus Abfall: Verbrannten Holz etwa. Oder Bilder, eingeritzt auf Knochen. Oder geflochten, denke sie an das „dream house“. Vielleicht haben die Menschen auch gesungen, getanzt oder von den Uranfängen erzählt und von ihrer Sehnsucht danach. So, wie es bis heute geschieht. Die Künste als Ausdruck dieser Sehnsucht.
„Hör auf der Flöte Rohr, wie es erzählt und wie es klagt, vom Trennungschmerz gequält: Seit man mich aus der Heimat Urgrund schnitt, weint alle Welt bei meinem Klagen mit…“ so dichtete Mewlana Dschelaleddin Rumi, einer der größten islamischen Mystiker im 13. Jahrhundert. Oder denken sie an den Sonnengesang des Heiligen Franziskus. Die Sehnsucht nach dem „Wieder Heil-Werden“. Sie durchzieht die gesamte religiöse Welt, und nicht nur sie: Auch, wenngleich auf materieller Ebene, utopische Lebensmodelle. Einmal in einem hier und jetzt zu leben, in dem es allen gut geht. Ohne Not und Leid, die als Fehler, als kaputter, gebrochener Zustand empfunden werden. Merkwürdig: Wir träumen von einem Zustand, der Reparaturen überflüssig macht und versuchen ihn durch Reparaturen zu erreichen. Wir erkennen die Ganzheit, das Heil erst durch das Unheile.

Nele Ströbel hatte in einer ihrer jüngsten Arbeiten sich mit dem Thema Garten beschäftigt, dem Klostergarten, dem, wie man fachspezifisch sagt, „hortus conclusus“. Also dem abgeschlossenen Garten. Wieder sind wir beim Sehnsuchtspunkt gelandet, dem Paradies. Dem Garten Eden. Denn für nichts anderes steht der „hortus conclusus“. Er lässt die Vorstellung vom Heilwerden, ja, vom Heilsein spürbar werden und verweist damit auf die nötige Reparatur der Welt.
Womit wir wieder beim Thema dieser Ausstellung sind, die sich ganz handfest dem widmet, was hier geschieht. Den vielen, nötigen Reparaturen im alltäglichen Leben. Das gilt aber auf vielen Ebenen und auch in uns selbst, wie wir vielfach, etwa in jeder Not, bei jeder Krankheit, jedem Unglücklichsein, jedem unerfüllten Lebensmoment erfahren können, wenn wir repariert werden, uns wandeln können, die Welt reparieren. Das kann mit einer Bohrmaschine beginnen. Oder mit der Kunst hier vor uns.