Telefondrahtarbeiten wurden und werden selten als "Kunst um der Kunst willen" geschaffen und entstammen anderen Referenzsystemen als westliche Kunst. Gerade deshalb stehen sie mit ihrem schier unerschöpflichem Vorrat an spontanen Einfällen und originellen Ideen im Zuge der "African Renaissance" für das Wiederentdecken und die Würdigung lange verdrängter Traditionen, ignorierter Fähigkeiten und nicht wahrgenommener Kreativität der schwarzen Bevölkerungsgruppen.
Beim Aufbau einer Post-Apartheid-Gesellschaft reflektieren sie als Ausstellungsstücke in südafrikanischen Museen aber auch das Um- und Neuschreiben von jahrzehntelang verleugneter Kunstgeschichte sowie den Abbau von Hierarchien. Unmittelbar neben den Werken weltberühmter Künstler präsentiert, sind sie Zeichen für das gleichberechtigte Nebeneinander von Werken westlich-urban geprägter Künstler und solcher, die von Menschen geschaffen wurden, denen unter der Apartheid der Zugang zu Bildung, zu internationalen Karrieren und oft sogar zu grundlegenden Materialien verwehrt worden ist.
Darüber hinaus steht Telefondraht im südlichen Afrika als Symbol für die Kommunikationsbereitschaft mit Neuem und Fremdem sowie die Fähigkeit, sich auf zunächst Unvertrautes schöpferisch einzulassen. Gerade an Arbeiten mit diesem Material zeigt sich die kreative lokale Aneignung globaler Phänomene. Sie sind ein augenfälliger Beleg dafür, dass sich Verschiedenartigkeit und Vielfalt keineswegs zwingend und überall zugunsten von identifikationsloser Gleichmacherei auflösen müssen, sondern dass gerade auch durch aktuelle Verflechtungen faszinierende und unverwechselbare neue Phänomene entstehen können.
Telefondraht ist keinesfalls nur ein Sinnbild für Fragen nach dramatischen Umwälzungen in der Gesellschaft Südafrikas, sondern ebenso stark auch für unsere eigene Gesellschaft und die gesamte westliche Welt. Denn dieses Material evoziert in einer Zeit, in dem es zunehmend durch Glasfasern und andere modernste Technologien ersetzt wird, ganz allgemein Fragen nach Prozessen des Herauswachsens aus alten Strukturen, nach Übergängen von der Industriegesellschaft in eine Informationsgesellschaft, vom Maschinen- ins Medienzeitalter. Telefondraht verkörpert damit sowohl regionale wie auch globale Umbrüche sowie die immer stärkere Kurzlebigkeit moderner Phänomene.
Telefondraht steht für eine Vernetzung der Welt. Doch wie und wo fand und findet diese statt? Wenn sie sich nur auf die kommunikationstechnologische und ökonomische Ebene beschränkt, kommen sich die Menschen nur scheinbar und bedingt näher. Ist es nicht wichtiger, diese Vernetzung auch auf anderen wesentlichen Ebenen voranzutreiben?
Das "imbenge-dreamhouse"-Projekt mit seinen Teilnehmern aus verschiedenen Kontinenten mit unterschiedlichsten Hintergründen und Selbstverständnissen ist ein solcher Versuch zeitgemäßer globaler Vernetzung. Es basierte auf gegenseitiger Kommunikationsbereitschaft, setzte sich mit den zahlreichen daraus erwachsenden Chancen aber auch Schwierigkeiten auseinander und zeigte schließlich, dass ernst gemeinte Dialoge wesentlich weiter führen als monologische "Überzeugungskriege".
Dr. Stefan Eisenhofer
Staatliches Museum für Völkerkunde
Leiter der Abteilung Afrika
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