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"Als eine Art intellektueller Bastelei" definierte
Claude Lévy-Strauss das mythische Denken und machte
darüber hinaus auf seine Funktion als Bindeglied zwischen
künstlerischem Schaffen und wissenschaftlicher Erkenntnis
aufmerksam. Inzwischen hat die Interaktion von Künstlern und
Wissenschaftlern als wieder neu entdeckte Form der kulturellen
Begegnung und Wissensvermittlung immer mehr an Bedeutung gewonnen,
fördert sie doch Rahmenbedingungen, die den rasanten
Entwicklungen in den neuen Medien und Technologien eine andere
reflexive Dimension entgegenhalten. Die moderne Gesellschaft lebt
in einer angeeigneten Welt, und die Mittel, die sie einsetzt, um
sich diese Welt anzueignen, verdanken sich im überwiegendem
Maße dem, was die Wissenschaft kann und weiß. Eine Welt
ohne Wissenschaft, ohne Forschung und auf ihr beruhender
Entwicklung ist undenkbar geworden. Trotzdem ist das
Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft nicht einfach,
denn wissenschaftliche Entwicklungen führen oft zu Problemen,
die mit wissenschaftlichen Mitteln alleine nicht bewältigt
werden können. Die Möglichkeiten von Kunst und Kultur
werden allerdings selten in Zusammenhang mit Wissenschaft
gefragt. |
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Vor diesem Hintergrund hat das Kulturreferat ein
Projekt der Münchner Künstlerin Nele Ströbel zum
Anlaß genommen, einen Schlüsselbegriff unserer Kultur in
seinem künstlerischen, wissenschaftlichen und
gesellschaftlichen Zusammenhang vorzustellen, der durch die neuen
Medien und Technologien, aber auch durch die Veränderungen im
Verhältnis von Maschine und Mensch und schließlich durch
die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit eine vollkommen neue
Wertigkeit bekommen hat: die Reparatur. Reparieren ist ein
kultureller Akt des Wiederherstellens von Dingen, von Leib und
Seele, von Natur und Kultur gleichermaßen. Angesichts der
allgegenwärtigen und täglich wachsenden Verwundbarkeit
unserer Körper, unserer kulturellen, wirtschaftlichen und
militärischen Symbole und der schrittweisen Zerstörung
der Natur, ist die Reparatur zum unumgänglichen Bestandteil im
gesellschaftlichen Miteinander geworden. Als kreativer Prozeß
hat die Reparatur darüber hinaus eine schöpferische
Qualität, die sie durch die ästhetische Differenz in der
Wandlung von "alt" und "neu" gewinnt. |
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Aber nicht alles läßt sich reparieren.
Reparaturen sind Grenzen gesetzt. Sie spaltet sich in Reparables
und Irreparables. Der vorliegende Band unternimmt den Versuch, die
Leser durch eine bunte Welt der Reparaturen zu führen, die die
unterschiedlichsten Reflexionen und Skizzen in einem
interdisziplinären Parcours zu Reparaturen der Welt vereint.
Im philosophischen Auftakt entfaltet Bernhard Waldenfels den
Zusammenhang von Ding, Leib und Reparatur, sowohl in Bezug auf
zeitliche und ökonomische Faktoren als auch in der
Gegenüberstellung von alt und neu. Heidrun Friese verweist auf
die Uneinholbarkeit eines ursprünglichen Zusammenhangs und
damit auf den niemals gelingenden Versuch der Rekonstruktion im
Prozeß des Reparierens. Ulrike Leuschner betrachtet die
textkritische Edition einer Handschrift als Reparaturwerkstatt der
Literatur, in der sich die stetigen Veränderungen des
kulturellen Gedächtnisses spiegeln. Die sogenannte
Rechtschreibreform bezeichnet sie als "Reparaturmaßnahme ganz
eigentümlicher Art" und die auf diese Weise reparierten
Ausgaben älterer Literatur als "bloße Makulatur".
Hartfrid Neunzert und Marlene Lauter beleuchten die Facetten der
Reparatur im musealen Kontext. Während Neunzert für eine
Reparatur eintritt, die den Istzustand bewahrt, Veränderungen
dokumentiert und auf diese Weise der Geschichtsfälschung
entgegenwirkt, vergleicht Lauter die Schwierigkeiten in der
Kunstvermittlung mit den Schwierigkeiten des handwerklichen
Reparierens. |
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Ein Erfahrungsbericht aus der Praxis der
Architektin Ingrid Krau dokumentiert die Reparatur eines Dings als
Abfolge unterschiedlicher theoriegeleiteter Analysen und stellt
darin die Qualität von Gutachten zur Diskussion. Am Beispiel
des Wiederaufbaus der Münchner Pinakothek zeigt Friedrich
Kurrent die produktive Vereinigung von alt und neu: "Gerade die
Botschaft einer dichten, innigen Bausubstanz mit den neuen Teilen
ist es, die uns in der Physiognomie des Bauwerks so beredt
entgegenspringt; die von seiner Geschichtlichkeit spricht; auch die
seiner Zerstörung nicht verschweigt; eben die ganze Geschichte
erzählt." An diesem Umgang mit Geschichte wird deutlich,
welchen Stellenwert Erinnern und Vergessen sowohl im kulturellen
als auch im psychischen Prozeß des Menschen einnehmen. Erst
nach der Rückkehr ins heimatliche Ägypten, schreibt
Alfred Ridgeley in der Retrospektive auf seine Geburtsstadt
Alexandria, habe er die Wunden der Emigration heilen können.
Die quälende Erinnerung an seine Heimat hatte durch die
Konfrontation mit der Realität endlich ihre traumatische
Wirkung verloren. |
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Über Chancen und Risiken politischer Reparaturarbeiten
schreiben Peider A. Defilla und Hildegard Kronawitter, während
Anneliese Durst auf die "Reparaturbedürftigkeit"
beschädigter Erwerbsbiographien verweist: Die Politik braucht
mehr denn je kommunale Projekte, die die Zukunft der
Arbeitsgesellschaft und damit einen humanen Lebenslauf sichern.
Reparaturen, so zeigt sich an den Textbeiträgen des
vorliegenden Bandes, sind inhärenter Bestandteil unserer
kulturellen Räume. Sie sind notwendig in jedem Bereich,
können aber eine negative Eigendynamik entwickeln, wie es
Lydia Andrea Hartl gerade an den Parallelitäten des Umgangs
mit der Welt und des Umgangs mit dem menschlichen Körper
offenlegt, beides Experimentierfeld zur "Konstruktion von
Machbarkeiten". Und Paul Parin entlarvt schließlich die
eigentümliche Aporie der reparatorischen Chirurgie zur
Behebung von Kriegsschäden: "Wie absurd ist es doch, seine
Zeit damit zu verbringen, verstümmelte Opfer der Gewalt
notdürftig und unvollständig zusammenzuflicken, wenn man
weiß, daß Machtkämpfe und die scheinbar
unbeherrschbare Industrieproduktion ständig neue Opfer
erzeugen, daß täglich Morde begangen und Wunden
zugeführt werden." |
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Am Ende der Lektüre dieses Bandes wird deutlich: Der
Begriff der Reparatur ist durch eine Vielzahl von Konnotationen
geprägt, die einem ständigen Wandel unterliegen oder um
mit den Worten von Schultes und Schoeffel zu enden:
"Reparaturwürdigkeit und Reparaturbedürftigkeit zeigen
die besondere menschliche Relativität des Reparaturbegriffs.
Wie die Reparaturwürdigkeit, so ist auch die
Reparaturbedürftigkeit letztlich an subjektive
Maßstäbe gebunden." |
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