DAMASKUS PROJEKT
Als nichts weniger als das Paradies wird Damaskus in alten Schriften bezeichnet. Und ebenso archetypisch,
wie uns, die wir es nicht zu kennen glauben, das Paradies dennoch vertraut scheint, ist die
urtümliche, in unserer modernen Lebenswelt so nicht mehr bekannte Struktur dieser uralten Stadt
intuitiv erfassbar: als eine Erinnerung, als ein Sehnsuchtsort, als ein Modell und als ein Wunsch.
Man kann nicht an Damaskus denken ohne zu projizieren.
Die Münchner Bildhauerin Nele Ströbel hat nach einem Studienaufenthalt in der syrischen Metropole
das Projekt für eine Raumarbeit entwickelt, die sich mit dem hochkomplexen Stadtorganismus,
seinen privaten, öffentlichen und imaginären Räumen phänomenologisch-künstlerisch auseinandersetzt.
Nele Ströbel erschließt dabei das Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Bedeutungsund
Deutungsebenen einer ebenso realen und lebendigen wie mystischen Stadt, indem sie sich mit
simultan eingesetzten, in unterschiedlichen Medien ausgeformten künstlerischen Reflexionen und
Analysen dem Thema nähert.
So sind die greifbarsten, dreidimensionalen Bestandteile des "Erzählraumes", wie Ströbel ihr
Installationsvorhaben nennt, 52 Terrakotta-Objekte, Form- und Raumvariationen, basierend auf
unterschiedlichen Faltungen immer des gleichen Flächenmusters. Aus verschiedenfarbigen Tonen
gebrannt und teils mit kontrastreichen Streifungen versehen, ist die Vielfalt der sich ergebenden
kleinen Raumgefüge ebenso verblüffend wie erhellend, sie laden als Raum-Zeichen und -Gesten
geradezu sprechend zur eigenen Nach-Erkundung des von Ströbel erforschten Raumgefüges ein.
Hinzu kommen, in einem weiteren Abstraktionsschritt, vier großformatige Planzeichnungen auf Tonpapier
und Operafolie. Die Filzstiftzeichnungen, die einerseits das Straßennetz und Gebäudeumrisse,
andererseits Isometrien einzelner Bauwerke zeigen, werden, um diese herum gruppiert, zum beinahe
ornamentalen Plafond der Tonmodelle, darüber hinaus dienen sie als Projektionsflächen. In
ihrer, gemessen an modernen Stadtplänen, bewussten Ungenauigkeit im Umgang mit einem konsequenten
kartografischen Standpunkt, stehen diese Zeichnungen historischen Plänen mit ihren durch
die menschliche Wahrnehmung gewichteten Perspektivenwechseln und Hervorhebungen nahe. Auf
die Flächen dieser Planzeichnungen werden, ein Höchstmaß atmosphärischer Dichte erzeugend,
dokumentarische Fotos von Straßenzügen, Architektur und Leben in Damaskus projiziert.
Etwa zwanzig Papierarbeiten mit weiteren Planzeichnungen setzen sich mit besonderen Stadtbezirken
auseinander und führen den Betrachter tiefer ins Detail. Mit Filzstift und Neonnachleuchtfarbe
angelegt, leuchten die dargestellten Stadtplätze im Halbdunkel des Projektionsraumes und
addieren eine weitere, die umgebende Wand ebenso thematisierende wie auflösende Ebene der
Erfassung der Stadtgesamtheit. Als unmittelbarste Reflexion der Eindrücke wird das Ausstellungsprojekt
durch zahlreiche Handzeichnungen und Fotos mit Stadtansichten ergänzt, die die Künstlerin
während ihres Studienaufenthaltes vor Ort angefertigt hat.
In einer zunehmend globalisierten Welt mit uniformen Großstädten, zum Verwechseln ähnlich, wird
sinnlich erfahrbarer und erfühlbarer (Lebens-)Raum zu einem immer seltener werdenden, menschlichen
Bedürfnissen und Sehnsüchten jedoch notwendig entsprechenden Ort der Vergewisserung
seiner selbst, der fortschreitenden Entortung und digitalen Vereinsamung des Einzelnen entgegenwirkend.
Nele Ströbels DAMASKUS PROJEKT macht ganz direkt spürbar, wie wichtig solche Orte
sind, angefangen von ganz unmittelbaren Erfahrungen wie dem Berühren einer uralten Mauer bis
hin zu den literarischen Reflexionen über eine von Menschen geschaffene, zu einer Art zweiten
Natur oder auch irdischem Paradies gewordenen Stadtlandschaft.
Dagmar Schott M.A., Kunsthistorikerin, München
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